Der Sunset Beach State Park nahe Coos Bay war früher Privateigentum von einem Holzbaron. Die Villa und der Umschwung gehört heute dem Staat Oregon. Insbesondere für jemanden aus der kleinen Schweiz ist es nur schwer vorstellbar wie eine Privatperson solche Flächen sein eigen nennen kann. Auf dem Campingplatz des Parks sehen wir am Morgen, wie Häftlinge Feuerholz abladen und die ganze Anlage putzen. Neben ihnen stehen die Wärter mit Schrotflinten in der Hand. Solche Bilder hätte ich ehrlich gesagt nicht erwartet. John und ich radeln mit flauem Magen an ihnen vorbei und dann die vier Kilometer vom Zeltplatz zum Cape Arago. Von weitem hört man die Seelöwen grunzen. Die Kolonien bewohnen einige Felsen, die ein- bis zweihundert Meter vor der Küste aus dem Meer ragen. Die Anzahl an Tieren ist echt beeindruckend. Unter den mehreren tausend Tieren herrscht ein munteres Treiben. Nach einer Weile beginnt der Ernst des Tages und somit unsere Tagesetappe. Der vor uns liegende Abschnitt trägt den passenden Namen “7 Devils”. Die ersten drei Anstiege nehmen wir ganz leicht und flott. Jeder weitere “Teufel” fühlt sich steiler und noch steiler an. Für eine Zeit nehme ich die Umgebung kaum noch wahr, so erschöpft bin ich. Ähnlich geht es mir dann am späten Abend nochmal mit dem heftigen Gegenwind. Dieser wird immer stärker, je näher wir dem Cape Blanco kommen. Die letzten paar hundert Meter fahren wir in ziemlicher Schräglage. Der Wind bläst nun so stark von der Seite, dass wir uns gegen ihn lehnen müssen um geradeaus zu fahren. Doch die Eindrücke mit den tosenden Wellen, dem Leuchtturm und dem Sonnenuntergang sind alle Anstrengungen wert. Früh gehts zu Bett, denn wir sind beide platt.

Der folgende Tag ist ein stetes auf und ab entlang der Küste. Es ist schön, aber die angeschlagene Pace und der graue Himmel lässt die Erlebnisse verblassen. Kurz vor dem planmässigen Ziel erkunden wir zu Fuss eine Landzunge. Sie trägt den passenden Namen Thunder Rock Cove. Wir sind von dem Ort so angetan, dass wir unsere Zelte hier aufschlagen wollen. Zuerst gilt es jedoch unsere vollbepackten Räder die schmalen und teils sehr steilen Wanderwege runter zu fahren, schieben und tragen. Der Ort befindet sich in einem State Park und campen ist hier eigentlich nicht erlaubt. Ich erinnere mich an die erste Nacht in Jasper, als ich kaum ein Auge zu kriegte, vor lauter Angst von einem Park Ranger erwischt zu werden. Heute lache ich bloss noch darüber und finde nach einem weiteren malerischen Sonnenuntergang tiefen und festen Schlaf. Mitten in der Nacht zieht ein heftiger Wind auf. Ich überlege mir kurz das Zelt noch satter abzuspannen, drehe mich aber bloss in meiner angenehm warmen Penntüte und schlafe weiter.

Es ist nicht mehr weit nach Kalifornien. Doch schon nach wenigen Kilometern beginnt John immer öfters seine Schultern zu lockern. Das eigentliche Ziel von gestern ist nach kurzer Zeit erreicht. John will seiner Schulter eine Pause gönnen und hier die Nacht verbringen. Der Rückstand auf meinem Blog ist Grund genug, um ebenfalls Halt zu machen. Auf der Suche nach einem warmen Ort mit WiFi, stolpere ich über die Backstreet Bar. Dummerweise ist es eine Sportbar und der Inhaber lässt mich auf einem der sieben Bildschirmen Eishockey schauen. So trinke ich mehr Bier als ich Seiten schreibe. Doch tue ich so auch einiges für die Völkerverständigung. Ich verpasse den Abzweiger zum Campingplatz und mache einen etwas unkonventionellen Umweg über den Strand. Mit der einsetzenden Flut wird der Weg oder die Fortbewegungsart nicht gerade konventioneller. Der Alkoholpegel in meinem Blut hat jenes Niveau erreicht, an dem man sich selber nicht eingestehen will, dass es besser ist umzudrehen. Ich schaffe es letztlich dann doch zu meinem Zelt. Hätte ich umgedreht, wäre ich sicher eine halbe Stunde eher zurück gewesen. Das ist mir allerdings in diesem Moment so ziemlich egal und somit gute Nacht. Das nächste was ich höre sind die Regentropfen auf meinem Zelt. Ich will nicht raus und fühle mich doppelt bedrückt. Einerseits bin ich sowas von verkatert, andererseits habe ich den Blogeintrag noch nicht online gestellt. John hat auch noch nichts von sich hören lassen. Durch unsere Zeltwände frage ich bei ihm nach was er vor hat. Zu meiner Erleichterung will er nicht im Regen aufbrechen. So kuriere ich meinen Kater weiter im Schlaf. Der Tag ist ziemlich ereignislos, immerhin schaffe ich es einen Blogeintrag online zu stellen.

Gemeinsam mit der Sonne stehen John und ich beschwerdefrei auf. Ein guter Tag für die Weiterfahrt. John ist etwas nervös bezüglich dem Grenzübergang in die Republik mit dem Bären auf der Flagge. Nach wenigen Kilometern kommen wir an ein beschauliches Häuschen. Eine junge Dame lächelt uns zu und wünscht uns einen schönen Tag. So entspannt läuft der Grenzübertritt nach sunny California ab. Jetzt gehts ab durch die Redwoods. Bäume die in den Himmel ragen zu unserer rechten und noch höhere zu unserer linken Seiten. Nach einiger Zeit des Träumens geht mir durch den Kopf, wie gefährlich es ist, sich von dieser beeindruckenden Landschaft so ablenken zu lassen. Wenig später rollen wir an einem Kreuz vorbei, welches offensichtlich eines Unfallopfers gedenkt. Dieser Weckruf kommt zur richtigen Zeit, denn es dämmert und im Wald droht die Dunkelheit schon früh über uns hereinzubrechen. Kaum erreichen wir die Lichtung, in der sich unser Campingplatz befindet, wird es wieder einiges heller. Schnell sind die Zelte aufgestellt, denn Abends soll man hier oft Elche beobachten können. Nichts ists und so verbringen wir den Abend mit zwei anderen Campern und ihren spannenden Geschichten.

Trotz der strengen Marschtabelle mit dem Ziel San Francisco, machen wir einen weiteren Abstecher zum Fern Canyon. Ganz ohne Radtaschen fährt es sich einiges schneller und sportlicher über die Feldwege. Die investierte Zeit lohnt sich. Ein seichtes Bächlein kommt aus der Schlucht. Einige Male müssen wir übers Wasser springen und über umgefallene Bäume klettern um weiter hinein zu gelangen. Die steilen Hänge sind auf beiden Seiten mit Teppichen aus dichtem Farn behangen. Alles scheint hier noch grüner, es bietet sich uns eine imposante Kulisse. So imposant, dass sie damals von Steven Spielberg für einige Szenen in Jurassic Park ausgewählt wurde. Der Rest des Tages wirkte dagegen eher blass. Einzig die Studentenstadt Arcata liess bei unserer Durchfahrt ihren Charme spielen. Eureka diente uns lediglich als Nachtlager. Die bewundernswerten Häuser aus früherer Zeit, liessen wir unter dem Fahren bloss an uns vorüber ziehen. Denn die Avenue of Giants liegt nur wenige Kilometer vor uns. Dort wollen wir heute gemächlich durchradeln und die riesigen Bäume auf uns wirken lassen. Einige dieser gigantischen Exemplare nehmen die Fahrbahn ganz schön in die Zange. Einzelne Bäume werden seitlich abgefräst, damit weiterhin zwei Autos kreuzen können. Andere Giganten sind innen hohl oder weisen Brandspuren auf. Immer wieder steige ich vom Drahtesel ab und spaziere unter den uralten Riesen. Der Boden ist übersät mit den roten Nadelzweigen und somit ganz weich. Ich versuche es schon gar nicht euch zu beschreiben, wie klein ich mich gerade fühle. Der Tag verrinnt und die Nacht verbringen wir in einem State Park Campground, wo wir unsere Zelte unter den Redwoods aufstellen.

Die ganze Raserei fühlt sich komisch an. Seit einigen Tagen fahren wir nach den Vorgaben in John’s Buch “Bicycling the Pacific coast”. Die meisten Nächte haben wir in Zeltplätzen verbracht. Werde ich weich? Ich habe mich durchaus an die abendliche warme Dusche gewöhnt. Aber ich verspüre auch Unzufriedenheit mangels Abenteuer. Nicht zu wissen, wo ich als nächstes mein Zelt aufschlage oder meine improvisierte Dusche nehme, lässt mich die gewünschte Freiheit erleben. Doch für die nächsten Tage werde ich mich mit den durchgeplanten Etappen arrangieren. Schliesslich will ich rasch nach San Francisco kommen, um dort ausgeruht meine Begleitung für dieses grosse Abenteuer empfangen zu können. Entsprechend der Reisegeschwindigkeit haben die ganzen Eindrücke eine ganz andere Qualität. In Garberville machen wir Mittagspause. Die Leute hier erinnern mich an jene aus Nimbin. Nimbin ist eine Hippie-Stadt in Australien, wo viele Einwohner sichtlich vom jahrelangem Drogenkonsum gezeichnet sind. Mit vollem Bauch geht es nun einiges langsamer vorwärts, zumal es auch gut hoch geht. Wir mühen uns in den Hügeln ab, bis wir zum nächsten planmässigen Stopp kommen. Das Buch warnt uns für den nächsten Tag vor dem grossen Anstieg am Legget Hill, trotzdem gehen wir unbekümmert zu Bett. Vorsichtig starten wir die nächste Etappe. Es geht von den ersten Metern an stet hoch. Zwischendurch unterhalten wir uns wie weit oben wir wohl schon sind. Die ganze Zeit reden wir uns ein, dass dies noch nicht der schlimme Anstieg sein kann. So kommen wir erstaunt um eine Kurve um festzustellen, dass wir schon ganz oben sind. Jetzt folgt die rund zehn Kilometer lange Abfahrt raus an die Küste Kaliforniens. Der Fahrtwind pfeift so laut um meine Ohren, dass ich keine Motorfahrzeuge mehr höre. Sicherheitshalber fahre ich mittig auf unserer Fahrbahn, damit ich mich auf die Abfahrt konzentrieren kann. Unten angekommen fühlt es sich zum ersten Mal so an, wie ich mir Kalifornien vorgestellt habe. Strand so weit das Auge blicken kann und die Sonne brennt. Leider hält das herrliche Wetter nicht lange an. Die nächsten zwei Tage sind eher grau. Wir erleben ein ereignisarmes Halloween in einem kleinen Nest, treffen wenige Radfahrer und in der zweiten Nacht zerrt ein Waschbär meine Lenkertasche aus dem Vorzelt. Das Essen war alles sauber weggeschlossen. Die Bissspuren im Ersatzakku meiner Kamera zeigt wie verfressen und frech die Viecher sind.

Dann zeigt sich Kalifornien erneut von seiner besten Seite. Entlang der Küste geht es immer wieder auf und ab. Einige Male geht es rechts neben uns eine steile Klippe hinunter, es gibt keine Leitplanke die uns Schutz bietet. Das weckt einen und kurz schalten meine Gedanken auf “Was wäre wenn”. Auf einer Landzunge vor uns steht ein alter VW-Bus. In dessen Frontscheibe spiegelt sich die Sonne. Die See wird vom starken Wind aufgepeitscht. Die kleinen Berge am Horizont sind mit feinen Schleierwolken bedeckt. Die Fahrt ist berauschend. Genau für diese Momente lebt man oder geht auf eine solche Tour. Es fühlt sich an, wie auf einer Achterbahn. Hoch, runter, links, noch schärfer links und dann eine Haarnadelkurve nach rechts. Bei freier Bahn, kann man herrlich aus den engen Kurven beschleunigen. Einmal mehr ziert ein riesiges Grinsen mein Gesicht. Wie gut es uns in der Tat geht, zeigt sich anhand John’s Aussage. “Im schlimmsten Fall müssen wir an einem Strand wild zelten.” San Francisco kommt in grossen Schritten näher. Es sind nur noch etwas mehr als hundert Kilometer. Es ist ein komisches Gefühl, fünf Monate bin ich jetzt alleine unterwegs und bald darf und muss ich alles teilen. Doch die Vorfreude überwiegt. Wir verlassen den Highway 1 und fahren durch Farmland Richtung Point Reyes. Auf den Zäunen entlang der Strasse und den ganzen Telefonmasten sitzen hunderte von Krähen und Raubvögel. Zu unserer rechten Seite erstreckt sich Tomales Bay. In dieser Region sieht man noch heute Spuren und das Ausmass des grossen Erdbeben von San Francisco aus dem Jahre 1906. Die Region steht unter Naturschutz und wäre es eigentlich Wert, in mehreren Tagen zu Fuss zu erkunden. Doch für dieses Mal müssen zwei kleinere Rundgänge genügen. Vor erreichen des Zeltplatzes besorgen wir uns noch ein Six Pack. Schliesslich gehen John und ich ab morgen Mittag verschiedene Wege. Bei einem leckeren Abendessen auf dem Samuel P Taylor Campground und einigen Bier sinnieren wir über die weitere Reise und das Erlebte. Im dichten Wald wird es nachts sehr kühl, sodass ich mich nicht allzu spät mit einem wohlig angetrunkenen Gefühl in den wärmenden Schlafsack lege. Vor dem Einschlafen kann ich noch den einfallenden Mondschein für einige Minuten bestaunen.

Am Morgen sind wir zuerst damit beschäftigt, unsere Sachen trocken wegzupacken. Denn unsere Zelte hatten einiges Kondenswasser gesammelt. Im schattigen Wald dauert dies etwas länger als sonst. Doch dann geht der letzte Ritt in Richtung Grossstadt los. Allmählich wird die Gegend immer dichter besiedelt. Wir fahren durch einige schmucke Städtchen, ehe wir in Sausalito die “Bay” erreichen. Es kommen uns viele Touristen auf Leihrädern entgegen. Einige scheinen noch nicht allzu viel auf einem Velo gesessen zu sein, verraten werden sie durch ihre Schlangenlinien. Ein letzter Anstieg führt uns hoch zur Aussichtsplattform am nördlichen Ende der Golden Gate Bridge. Das komische Gefühl der letzten Tage verstärkt sich bei diesem Anblick. Erst jetzt wird mir richtig bewusst, dass ein grosser Abschnitt meiner Reise zu ende geht. Da ich von hier an, nicht mehr jeden Tag alleine entscheiden werde wie es weitergeht. Doch lange grübel ich nicht darüber. Noch ein Erinnerungsphoto mit John und mit den besten Wünschen schicken wir uns auf unsere eigenen Abenteuer. Während John in die Stadt fährt bleibe ich auf dieser Seite der Brücke. Ich weiss noch nicht wo ich schlafen werde. Vielleicht finde ich ja einen schönen Platz zum zelten. Die Pläne bezüglich der Ankunft meiner Begleitung haben sich kurzfristig geändert. Anstatt erst ab dem 8. oder 9. werde sie schon ab dem 6. November in San Francisco sein, also übermorgen. Hmmm, dann drängt es wohl eine Bleibe zu finden. Dass ich meine angefallenen Pendenzen vorher erledigen kann, schminke ich mir gleich mal ab. Ich verbringe einige Zeit damit, eine einigermassen bezahlbare Bleibe in San Francisco zu finden. Ab Morgen residiere ich für eine Nacht im Folsom Inn, bevor dann das Soloabenteuer definitiv zu ende ist. Für heute Abend steht noch eine Spritztour zu den Marin Headlands auf dem Programm. Diese Gegend diente früher als wichtige Verteidigungsbasis gegen die Feinde, welche über den Pazifik kamen. Während dem kalten Krieg wurden die grossen Raketensilos ergänzt. Heute ist es ein herrliches Naherholungsgebiet. Da finde ich am späten Abend einen der wohl schönsten Schlafplätze meiner bisherigen Reise. Von meinem Zelt aus geniesse ich den Blick über die Skyline der Stadt mit der rot leuchtenden Brücke im Vordergrund. Glücklich lege ich mich zum schlafen nieder und frage mich was mich auf der anderen Seite der Brücke alles erwartet.

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