Der Abschied von Monika ist emotional, doch ich versuche mich möglichst auf bevorstehende Strecke zu konzentrieren. Es zieht mich im Eiltempo Richtung Süden. Zu meiner Rechten ist die endlos scheinende Atacama Wüste, es soll eine der trockensten Regionen der Welt sein. Nun ja, ich bin nun gut eine Woche da und es hat jeden Tag geregnet. Abends zogen jeweils die Wolken auf, sodass die von Sternen erhellten Nächte ausblieben. Zu meiner Linken türmen sich die majestätischen Anden. Diese sind verantwortlich, dass meine kühnsten Vorstellungen von Berg- und Talfahrten auf dieser Reise bereits übertroffen wurden. Ein Wüstensturm und -gewitter lenken mich von den Gedanken, ob der ersten Nacht wieder alleine, ab. Das Zelt steht gut verankert im Windschutz einer kleinen Düne der Atacama. Es bietet sich mir ein Naturschauspiel sondergleichen. Die Blitze erhellen immer wieder den fernen Horizont und die Regentropfen auf dem Zelt rauschen mich in den Schlaf. Na dann, gute Nacht.

Am nächsten Morgen nehme ich den Anstieg Richtung Paso Sico in Angriff. In Socaire fülle ich meine Radtaschen bis zum Anschlag mit Proviant. Meinen Flaschenhaltern klammern sich um zwei 3-Liter Wasserflaschen. Zusammen mit den vollen Wasserbeuteln ergibt dies 16 Liter Wasser. So klettere ich für die verbleibenden zwei Stunden bei Tageslicht etwas langsamer als gewohnt. Kurz vor Sonnenuntergang finden ich einen schönen Platz für mein Zelt. Beim Aufbau meines Lagers, werde ich aus sicherer Distanz von einem neugierigen Guanaco beäugt.

Die nächsten drei Tage führt mich eine Schotterpiste vorbei an farbenprächtigen Lagunen, spektakulären Felsformationen, Wüsten und einer unvergleichlichen Mondlandschaft. Diese ist geprägt von Grau- und Rottönen. Einige gelbe und violette Flecken deuten auf Schwefel und Metalle hin. Bei einer Lagune will ich einen besonderen Schnappschuss schiessen und stelle meine Kamera aufs Stativ. Das Wetter, welches einen grossen Beitrag zu den unvergesslichen Eindrücken leistet, wird dafür sorgen, dass es der letzte Schnappschuss mit dieser Kamera sein wird. Aus dem Nichts kommt ein heftiger Windstoss und ich kann nur noch zuschauen, wie die Kamera aufs ausgefahrene Objektiv fällt. Der Ärger über meine Fahrlässigkeit ist gross. Doch der Wind verwandelt sich in einen Sturm und so muss ich schauen, dass ich weiter komme. Wenig später hält ein Auto mit argentinischem Kennzeichen. Die Fahrerin informiert mich, dass der Pass aufgrund des Wetters geschlossen ist. Bevor ich in San Pedro los bin, hatte ich mich beim Zoll erkundigt. “Der Pass sei offen und das Wetter sei für die nächste Woche stabil.” lautete die Auskunft. Also fahre ich, trotz der wenig erfreulichen Neuigkeiten weiter. Ich halte nach alternativen Wegen Ausschau, bloss für den Fall, dass der Pass am nächsten Tag wirklich unpassierbar ist. Ein Weg entlang der Hochspannungsleitungen sticht mir in die Augen. Dieser ist zwar auf keiner meiner Karten eingezeichnet, aber es wäre immerhin eine Option, ganz im Gegenteil zu einer Kehrtwende.

Nach einer kühlen Nacht auf über 4’000 Meter über Meer und den ersten Kilometern des Tages, bin ich froh eine offene Schranke vorzufinden. Ein letzter Aufstieg und ich stehe am Zollgebäude. Die Formalitäten sind schnell abgewickelt. Meine Fragen nach dem Zustand der “Strassen” und der nächsten Einkaufsmöglichkeit werden sehr wage beantwortet. Die Oberfläche der Strasse nimmt immer mehr die Form von Wellblech an. Gegen Abend plagen mich vor lauter Schütteln Kopfschmerzen. Ich entscheide mich deshalb früher als üblich mein Nachtlager aufzuschlagen.
Bevor ich am nächsten Morgen aufbreche, gibt es noch ein Problem zu lösen. An fast jeder Grenze meiner Reise konnte man Geldwechseln. Hier mitten im Nirgendwo der Anden war nicht damit zu rechnen. Meine Nahrungsmittel werden langsam knapp. Was, wenn die Strasse weiterhin so schlecht bleibt? Ich will es mir nicht ausmalen. Ich halte ein Auto an. Eine argentinische Familie grüsst freundlich aus dem Kleinwagen. “Ob sie nach Chile wollen?” “Ja”, antwortet die Frau vom Beifahrersitz. Ich erkläre ihnen meine Situation und bitte darum etwas Geld zu wechseln. Etwas skeptisch dreinschauend fragt mich der Familienvater: “Wie viel?” und ergänzt: “ Aber ich kenne den Wechselkurs nicht.” Ich zücke 20’000 chilenische Pesos und via Dollar-Dreisatz kommen wir auf 480 argentinische Pesos. “Es fehlen mir dreissig Pesos”, meint der gerissene Mann hinter dem Lenkrad. Es ist mir egal, dass ich bei diesem Kuhhandel mit unvorteilhaftem Wechselkurs auf umgerechnet 2 Dollar zusätzlich verzichten muss. Ich will nur sicher gehen, im nächsten Ort etwas Essbares kaufen zu können. Mit argentinischem Kleingeld in der Tasche, tritt es sich leichter in die Pedalen. Auch die Kopfschmerzen haben sich verzogen. Erst jetzt fällt mir auf, wie angenehm es ist, in Chile und Argentinien unterwegs zu sein. Das Dauergehupe aus den letzten Ländern ist gänzlich verschwunden.

Die nächsten drei Tage verpflege ich mich zwei Mal in einem Comedor, ansonsten kann ich mich mit Pasta und Haferbrei stärken. Die Abfahrt vom Pass wird immer wieder von kleinen Gegensteigungen unterbrochen. Dies ist mir ganz recht, so bleibt mehr Zeit, um die gewaltigen Ausblicke zu geniessen. Ab und zu lauern grössere Steine, tiefer Sand oder Schlaglöcher, diese bremsen mich zusätzlich aus. An einem kleinen Fluss steht eine Herde wilder Esel. Immer faszinieren mich diese robusten Tiere. Wahrscheinlich sind es ausgediente Lastesel, die bis vor einigen Jahren, in den nahegelegenen Minen unterjocht waren. Schroffe Klippen säumen die Strasse und in der Ferne thronen weisse Gipfel. Nach kurzem Innehalten, schmeisse ich mich in die Regenjacke und düse Richtung Zivilisation.

Es sind noch etwas mehr als 120 Kilometer nach Salta. Als ich mich aufraffe aus dem warmen Schlafsack zu kriechen, setzt ein starker Regen ein. Da ich nicht plane, heute Abend das Zelt auszupacken, sitze ich den Schauer aus. Ich setze eine Stunde lang Nachrichten für Familie und Freunde auf. Wenn ich dann abends Internetzugang habe, muss ich bloss noch auf senden tippen. Der Regen bleibt hartnäckig. Es graust mir nicht davor im Regen zu fahren. Aber anstatt später Zeit aufzuwenden, um meine Sachen trocken zu kriegen, widme ich mich lieber der langen ToDo-Liste. Endlich erwärmt die Sonne das Zelt und ich kann alles trocken verstauen. Die Abfahrt beginnt somit unerwartet spät. Zudem bläst mir ein hartnäckiger Wind entgegen. Die Landschaft ist unbeschreiblich schön und vielseitig. Ich nehme die ganzen Eindrücke auf, aber kann es nicht verarbeiten. Die Fahrt wird auch auf den geteerten Abschnitten nicht einfacher. Doch ich kämpfe weiter und gebe Alles, was meine Beine hergeben. Der letzte Abschnitt zeigt ein Bild der natürlichen Zerstörungskraft. Nun wird mir klar, wieso die Passstrasse vor einigen Tagen gesperrt war. Teile der Strasse sind komplett weggespült. Brücken der Eisenbahnstrecke sind um mehrere hundert Meter versetzt. Ich habe Glück, dass die Aufräumarbeiten weit fortgeschritten sind und die Strasse passierbar ist. Endlich komme ich aus dem Tal heraus. Damit ändert sich auch der Wind. Mit diesem natürlichen Turbo jage ich der Stadt entgegen.

Bei Einbruch der Dunkelheit erreiche ich mein Ziel. Zum Glück finde ich auf Anhieb eine Unterkunft. Erst nach einer Dusche finde ich Entspannung. Nun scheinen all die gesammelten Erinnerungen, an die unbeschreiblichen Landschaften, in meinem Kopf verarbeitet zu werden. Ich bin überwältigt, so etwas habe ich auf der ganzen Reise noch nicht erlebt. Ich bin in Salta, Argentinien. Es ist Zeit, mich für die wundervolle Tortur der letzten Tage zu belohnen. Auf geht’s, in ein gutes Restaurant. Es ist nicht billig, doch ich folge der Empfehlung des Kellners und bestelle das Bife der Chorizo, natürlich die Portion für zwei Personen. Es sind 500 Gramm purer, zarter und schmackhafter Genuss. Dazu gibt’s Kartoffeln und natürlich ein grosses Bier. Erstaunlich leichtbauchig schlendere ich zurück zum Hostel, wo ich glücklich und übermüdet ins Bett sinke.

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