Spät abends treffe ich auf dem Campingplatz ein, dort treffe ich Veronika und Rainer. Das österreichische Paar ist für 2 Monate mit dem Rad unterwegs. Sie zeigen mir herrliche Bilder vom Salmon Glacier. Rainer meint, das Wetter soll nur noch für den morgen einigermassen halten. Mit ihren Bildern im Kopf entscheide ich mich, den Ruhetag zu schieben und morgen die Tour hoch zum Gletscher zu machen. Das Zelt stelle ich mittlerweile auch problemlos im Dunkeln auf. Mit 160 Kilometern in den Beinen ist es dann auch ein leichtes Schlaf zu finden.

Zum Glück erinnert mich Rainer vor meinem Start daran den Pass mitzunehmen. Es gibt zwar keine Grenzkontrolle hinein in die Staaten, aber auf dem Rückweg wacht der kanadische Zoll. Der Weg zum Gletscher führt am Fish Creek vorbei. Ein kleiner seichter Flussarm, in dem sich tausende Lachse zum Laichen und Sterben tummeln. Ich habe Glück, es ist gerade ein Grizzly am Fischen. Mit Leichtigkeit fängt er einen Fisch. Im Gras neben dem Fluss verschlingt er seine Beute. Das Fell dieses Ursus arctos horribilis ist aussergewöhnlich dunkel. Die Ranger sind sich uneinig über den Grund dafür. Einige meinen es liegt an der Ernährung. Auf dem Holzsteg tummeln sich Touristen en masse. Mindestens zwanzig Hobbyfotografen stehen Schulter an Schulter. Ich schätze den Gesamtwert deren Fotoausrüstungen auf mindestens eine halbe Million Schweizerfranken. Einige der Fotojäger stehen hier während der ganzen Woche, in der Hoffnung DEN Schnappschuss zu machen. Es soll auch Tage geben, an denen sich kein Bär zeigt. Es ist also Geduld gefragt.

Der Weg hoch zum Gletscher ist eine Kieselstrasse. Es sind 1’000 Höhenmeter auf 20 Kilometer zu bewältigen, zum Glück konnte ich das Gepäck im Zelt belassen. Der Nebel hängt tief im Tal, so habe ich die Hoffnung auf dem Weg hoch durch das Nebelmeer zu stossen. Ich komme am Fuss des Gletschers an, die Sicht ist stark beschränkt und Regen setzt ein. Es ist aussichtslos es über das Nebelmeer zu schaffen. Als Motivation es hoch auf den Pass zu schaffen dient nun nicht mehr die Hoffnung auf die Aussicht, sondern einzig mein sportlicher Ehrgeiz. So bin ich unterwegs mehr mit mir beschäftigt, als mit der nebulösen Aussicht. Mein Lohn ist ein Gipfel-Selfie mit der grauen Nebelwand als Hintergrund. Einzig ein Karton auf dem geschrieben steht, “Welcome to Salmon Glacier”, dient als Beweis es bis ganz nach oben geschafft zu haben.

Nach einer warmen Dusche im Campground, mache ich mich auf in die nahe gelegene Pizzeria. Dort bestelle ich ein Bier und eine grosse Taco Pizza. Die Kellnerin reagiert überrascht und antwortet: “Aber das ist eine GROSSE Pizza.” Sie meint, wenn ich diese alleine verputze sei die Pizza offeriert. Jedes Mal als sie an mir vorbei geht, werden ihre Augen grösser. Mit einem vollen Bauch und einem Grinsen im Gesicht sitze ich am Tisch. Sie räumt den Teller weg und ist sprachlos. Auf dem Campingplatz herrscht muntere Stimmung. Ein Vater und seine zwei Kids essen Marshmallows am Lagerfeuer. Zu Rainer, Veronika und mir gesellen sich Emily und Rachel, welche auf einem Roadtrip nach Alaska sind. Zu fünft sitzen wir am Tisch, trinken Bier und plaudern über Gott und die Welt. Wir teilen unsere Geschichten bis tief in die Nacht.

Am Morgen danach setzen Veronika und Rainer ihre Tour fort. Ich gehe mit Rachel und Emily an den Fish Creek, in der Hoffnung noch mehr Bären zu sehen. Die Fahrt in Rachel’s Auto dauert keine zehn Minuten. Leider zeigen sich diesmal nur die Möwen, welche die Fischkadaver verschlingen. Wir schauen dem Treiben eine Weile zu, bevor wir uns auf den Rückweg machen. Am kanadischen Zoll ist niemand vor oder hinter uns. Nach wenigen Fragen, bitten uns die Grenzwächter auszusteigen und vor dem Auto zu warten. Wenn ich uns so anschaue, erstaunt es mich nicht sonderlich. Unsere Kleider schreien förmlich nach den 60er Jahren. Während die Beamten das Auto gründlichst durchsuchen, scherzen wir darüber was sie finden könnten. Nach zwanzig Minuten lassen uns die genervten und erfolglosen Zöllner passieren. Einen Espresso später verabschiede ich mich von meinen Komplizinnen. Sie machen sich auf den Weg Richtung Alaska.

So bleiben nur noch die Kleinen und der Familienvater mit mir in dem Zeltbereich des Campingplatz. Tyler und Emilia machen grosse Augen, als Jason, ihr Vater, ihnen erklärt wo ich meine Tour gestartet habe. Sie wollen unbedingt mit mir eine Radtour machen. Ich verspreche es für den nächsten Tag. Denn es ist schon spät und heute beginnt das Bear Festival, die grösste Veranstaltung des Jahres in Stewart. Im improvisierten Biergarten treffe ich auf die jungen Mitarbeiter des Campingplatzes. Nachdem ich die Geschichte von heute vormittag am Zoll erzähle, stellt mir Steve seinen Kumpe, der Grenzwächter ist, vor. Dieser spendiert mir ein Bier und plaudert aus seinem Berufsalltag, was er schon alles entdeckt hat. Es ist erschreckend, aber offensichtlich rechnet niemand mit einer Grenzkontrolle, da die USA diese Grenze nicht interessiert. Der Biergarten macht um elf Uhr zu und so werde ich in die Bar geschleppt.

Jedesmal, wenn ich mein Portemonnaie zücke steht der Zöllner da und meint: “In meiner Stadt bist du mein Gast!”. Nach dem vierten oder fünften Bier gebe ich jedweden Widerstand auf. Der Kreis wird immer grösser und lustiger. Kurz vor drei Uhr morgens ziehen wir weiter. Vertieft in einem Gespräch mit Steve, folge ich einfach der Meute. Keine fünf Minuten später sitze ich in meinen Icebreaker Boxers im gut gefüllten Whirlpool und habe schon wieder ein kühles Blondes in den Fingern. Nach ausschweifenden Diskussionen über Eishockey wird es Zeit für mich nach Hause zu gehen. Schliesslich will ich morgen, ehhmm heute, wieder auf mein Stahlross steigen. Es ist halb sechs Uhr, als der Reissverschluss meines Zelt rasselt.

Erstaunlich einfach stehe ich einige Stunden später wieder auf. Kaum aus dem Zelt gekrochen tanzen Emilia und Tyler um mich und ich bin hellwach. Ich packe meine Habseligkeiten und bin nun bereit für die Radtour mit meinen zwei grössten Fans. Nach der grossen Runde um den Campingplatz, zeigt mir Tyler, wie man Marshmallows über dem Feuer zubereitet. So schreitet der Tag fort und nach einem Erinnerungsfoto mit den Kleinen geht auch für mich die Reise weiter.

Zwei Stunde später beginnt es zu dämmern. Ich fasse mir an den Hinterkopf, um das Rücklicht an meinem Helm einzuschalten. Es ist ein Griff ins Leere. Wo habe ich bloss meinen Helm? Ich erinnere mich diesen an der einen Stütze des Unterstandes aufgehängt zu haben. Was nun? Ich fahre weiter und halten den nächsten Motorradfahrer an. Die Situation ist schnell geschildert und er verspricht Jason den Helm mitzugeben. Jason wohnt entlang meiner geplanten Strecke, so hoffe ich den Helm bald wieder abholen zu können.

Die Fahrt in der Dämmerung sorgt für Spektakel, die Wildtiere werden zu dieser Tageszeit aktiv und die Gletscher entlang der Strasse erstrahlen in einem satten blau. Einige Bären, Füchse und Gänse später bin ich kurz vor meinem Tagesziel. Ein Blick über meine Schultern lässt mich fast das Gleichgewicht verlieren. Der Himmel scheint zu brennen. Die Wolken bieten ein Schauspiel, wie ich es noch selten gesehen habe.

Der Tag beginnt früh, da mein Zelt neben einer Tankstelle steht. Meine vordere rechte Tasche hat bloss noch 100 Gramm Schokolade zu bieten. So muss ich es wohl bis heute Abend zum nächsten Supermarkt schaffen. Die Fahrt führt durch endlose Wälder. Zwei Mal komme ich an einem Holzfäller-Camp vorbei, was für eine Abwechslung. Zwischendurch beschleichen mich Zweifel, ob ich die 160 Kilometer bis Kitwanga durchziehen soll. Ich fühle mich müde, bestimmt ist dies die Folge der Partynacht. Die Fahrt ist, abgesehen von einem Bären der ganz entspannt vor mir die Strasse überquert, ereignislos. Späten Abends trudle ich im Gemeinschaftspark von Kitwanga ein. Gerade noch rechtzeitig, um das Zelt im letzten Tageslicht zu stellen. Somit liegt auch der Highway 37 hinter mir.

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