Der Startschnappschuss am Dorfeingang von Inuvik ist Pflicht, so platziere ich die Kamera auf dem Stativ und “klick”. Endlich geht es los. Die ersten Kilometer sind berauschend und es wird immer besser. Schnell wird mein Kopf von den Eindrücken der unendlichen Weite und der unberührten Natur leer gespült. Nach den ersten 20 Kilometer gönne ich mir eine Pause. An der Stelle muss ich eine Warnung aussenden. Vorsicht vor Kanadier, sie sind so gastfreundlich und laden dich zu Bier und Hot Dogs ein und verunmöglichen es so die gewünschte Kilometerzahl für den Tag zu erreichen. Ich treffe auf Jerry und sein Sohn, sie arbeiten für die Firma, welche den Dempster Highway wartet und ausbaut. Gespannt lausche ich ihren Geschichten, schliesslich trifft man nicht alle Tage einen Ice Road Trucker der ersten Stunde. Die Reality TV Sendung sei eine Pharse, meint Jerry. Bei der zweiten Staffel soll er mitgewirkt haben und der Text soll ihm vorgegeben worden sein. Alles nur gestellt, wer hätte das gedacht?

Rund 20 Kilometer weiter animiert mich ein Schild mit der Aufschrift “Tit geh Jivaa Viewpoint” zum Halten. Die Bärenspuren entlang des Weges können mich nicht davon abhalten zur Aussichtsplattform hochzusteigen. Ich werde mit einer atemberaubenden Aussicht belohnt. Ganz alleine kann ich die Ruhe bei Sonnenschein geniessen und dies obwohl es schon 23.00 Uhr ist. Wenig später kündet ein Schild einen Campground an. Dies erinnerte mich daran nach einem geeigneten Platz für mein Nachtlager zu suchen. Die Campgrounds hier kosten 12 kanadische Dollar pro Nacht, dafür kriegt man einen ebenen Untergrund und ein Plumpsklo. Dieses Geld spare ich mir und zelte etwas abseits der Strasse.

Die Landschaft ändert kaum, auch am zweiten Tag ist die Landschaft von flachen Büschen und Sümpfen geprägt. Die einzige Abwechslung sind die Kaninchen und Mäuse am Strassenrand. In einer der regelmässigen Pausen fährt ein Scania Truck/Wohnmobil mit Aargauer Kennzeichen an mir vorbei. Obwohl es sich nicht so anfühlt komme ich gut voran. Die Kurven, die ich auf meiner Etappe genommen habe, kann ich an einer Hand abzählen. Die Abfahrt zur Mackenzie River Fähre lässt dann meinen doch etwa ansteigen. Zurecht, denn der Anblick der Flusslandschaft lädt zum Halten ein. Nach dem Übersetzen bereite ich mein Abendessen zu, dabei lässt ein Knall mich aufschrecken. Ich blicke rechtzeitig über meine Schulter, um einem Bieber zuzuschauen, wie er mit der Schwanzflosse auf die Wasseroberfläche schlägt und abtaucht. Da haben wir die Ursache für den Knall. Mit dem leckeren Mahl im Magen finde ich kurze Zeit später ein lauschiges Plätzchen an einem See.

Ich erwache und mir wird Bang um mein Zelt, ein Sturm zieht auf. Ich sparte mir am Vorabend das Abspannen des Zeltes, da der Untergrund dies nicht zu liess. Gerade noch rechtzeitig packe ich das Zelt zusammen und verschliesse die letzte Tasche, denn ein sintflutartiger Regen setzt ein. Mit vier Stunden Schlaf geht es gut verpackt weiter. Dem miesen Wetter entsprechend verkriechen sich alle Tiere und so bleibt die Weiterfahrt eher ereignislos. Meine Laune steigt nach kurzen Startschwierigkeiten. Aus aktuellem Anlass kommen Gedanken auf, eine Non-Profit-Organisation zu gründen um Radreisende zu unterstützen und dabei im Stile der FIFA oder des IOC Steuern zu sparen. Ich frage mich, wer die Fakten kennt und mir allenfalls weiterhelfen kann. Natürlich habe ich ein Grinsen im Gesicht, die Idee ist nicht ganz ernst gemeint. Obwohl…

In Fort McPherson stocke ich mein Proviant auf. Während ich einen Burger geniesse, sehe ich durchs Fenster wie das Wetter etwas aufklart. Aus dem Ort draussen, liegt der Peel River vor mir und auf der anderen Seite türmt sich ein Berg, während der Überfahrt türmt er sich immer höher. Am südlichen Ufer klammern sich zwei Hunde an an meine Fersen. Locker und lässig traben sie neben mir her, während ich mich die Aufstiege hoch quäle. Nach geraumer Zeit jagen sie, von mir gelangweilt, dem nächsten Pickup nach. Meine Beine werden schwerer und die geistige Füllstandsanzeige steht tief in der roten Reserve. Es wird Zeit mein Lager aufzuschlagen. Mit der Zahl an zurückgelegten Kilometern steigt auch mein Appetit, zum Abendessen vernichte ich 1.13 kg Ravioli.

Später erfahre ich, dass in der Region um den Peel River einige Brisanz liegt. Das Gebiet wird von First Nations autonom verwaltet und die kanadische Regierung will diese Region nun für Fracking und andere Ölförderung öffnen. (http://www.protectpeel.ca) Es weckt komische Gefühle in mir. Wieso baut man wohl einen Highway durchs nichts? Wegen ein paar wenigen Seelen? Ehhhm, genau das muss es wohl sein. Nun, immerhin wird in Kanada teilweise kritisch darüber gesprochen und berichtet. So, genug der Politik.

Die erste Krise

Zum Glück habe ich mein Zelt diesmal gut abgespannt und die Lage ist einiges geschützter als jene der Nacht zuvor. Das Wetter ist miserabel und schlägt mir aufs Gemüt. Alleine und übermüdet sitze ich im Zelt und kriege den Blues. Ich bin erst der vierte Tag unterwegs und unzählige Fragen gehen mir durch den Kopf. All die Fragen, die mich im Vorfeld nervten tauchen wieder auf: Musst du jemandem etwas beweisen? WIESO?!? Ich lese einige Zeilen einer vertrauten Person und dies reisst mich aus diesem Strudel negativer Gedanken. Die Fragen sind zwar nicht vergessen, aber ich drehe sie so, dass sie mehr Zukunftsorientiert sind. Zum Beispiel: Wer will ich sein? Welche Werte, Aktivitäten und Dinge sind mir wichtig? Schnell wird mir bewusst, dass es nie eine definitive Antwort geben wird. Nachdem die ersten klaren Vorstellungen da sind, gönne ich mir einen Mittagsschlaf. Ich erwache, weil die Temperatur im Zelt steigt. Die Sonne strahlt wieder, Zeit um zusammenzupacken.

Von den Regenfällen ist die Dreckstrasse aufgeweicht. Da der Schlamm schon nach wenigen Kilometern die Räder blockiert, müssen die Schutzbleche weg. Irene und Simon halten mit dem Dude, Scania mit Aargauer Kennzeichen, und fragen ob ich Hilfe benötige. Dankend lehne ich ab, da die Arbeit schon fast vollbracht ist. Bei einem kurzen Schwatz stellt sich heraus, dass sie ebenfalls die Panamericana in einem ähnlichen Zeitfenster machen wollen. Endlich gehts weiter, es ist bereits kurz vor 19.00 Uhr. Die Abendstimmung ist herrlich und beflügelt mich.

Ein lautes Rascheln lenkt meine Aufmerksamkeit auf ein Gebüsch. Ich sehe nur noch so etwas, wie ein überdimensionales, braunes Kaninchen davon hoppeln. Es dauert sicher ein oder zwei Sekunden bis ich realisiere, dass es sich um einen Grizzly handelt. Er legt an Geschwindigkeit zu und rennt auf der Strasse vor mir her. Bis ich die Kamera bereit habe, ist er schon 200 Meter entfernt und schaut neugierig zurück, was ihn denn so aufgeschreckt hat. Diese Begegnung verleiht mir die nötige Frische um die Nacht durchzuradeln. Dies ist bei Mitternachtssonne kein Problem.

Morgens um drei steht die Sonne so tief, dass ich bei der Fahrt durch ein Tal zum ersten Mal seit meiner Ankunft in Inuvik die Sonne nicht mehr sehe. Dementsprechend wird es frisch und die Müdigkeit verstärkt die Kälte zusätzlich. Es folgt der Anstieg hoch zur Grenze zwischen dem Northwest und Yukon Territory. Die Sonne wärmt meinen Rücken und es geht gut voran bis der Gegenwind einsetzt. Ich steige ab und beginne mein Rad einige hundert Meter zu schieben. Bei einem Blick runter auf die Strasse vor mir entdecke ich Bärenspuren. Irgendwie schön zu wissen nicht allein unterwegs zu sein. Endlich erreiche ich die Passhöhe. Ich lese einige Infoschilder, bevor ich mich für einen Powernap kurz hinsetze. Mein Körper sagt mir, dass er mehr Erholung braucht. So steige ich aufs Fahrrad und suche ein schattiges Plätzchen für mein Zelt und gönne mir eine grosse Portion Bratkartoffeln und einige Stunden Schlaf.

contentmap_plugin
made with love from Joomla.it